Erfahrungen im Bus
So könnte es sein:
Morgens, es ist so um kurz nach neun, mitten im Ruhrgebiet.
Ein nichtsahnender junger, gutgebauter (*hust*) und vor Tatenkraft strotzender (*doppelhust*) Reiseverkäufer auf dem Weg zur Arbeit.
Die letzte Zigarette bevor es in den Bus geht, bahnt sich mühsam ihren Weg in die Sportlerlunge.
Der junge Mann steigt ein, begrüßt die süße 26 jahre alte Busfahrerin und nimmt auf seinem Lieblingssitz platz um die morgendliche Sonne zu geniessen.
2 Haltestellen später steigt dann eine Gruppe junger Germanistik auf Lehramt Studentinnen ein. Eine besser aussehend als die andere.
Der junge, hochmotivierte und gut gebaute Reiseonkel mustert die 3.
Knappe Röcke und tiefe Ausschnitte zaubern ihm ein Lächeln auf die Lippen.
Er kommt mit den 3 Rassehasen ins Gespräch, die bezaubernden Geschöpfe verdrehen ihm alsbald den Kopf. Er beschliesst sich heute einen Tag frei zu nehmen, es ist schliesslich Freitag und so gut wie Wochenende, um mit den dreien einen schönen Tag im Freibad zu verbringen.
Die Sonne lacht wie eh und je. Das Leben ist schön.
Doch in der Realität sstellt sich die gesamte Situation etwas anders dar:
Morgens, es ist immer noch kurz nach neun, mitten im verregnetem Ruhrgebiet.
Es ist saukalt und der Wind pfeifft einem um die Ohren. Zitternd und nassgeregnet steht ein mürrisch udn viel zu mühde aussehender 08/15 Typ an der Haltestelle und versucht verzweifelt etwas Rauch aus seiner mittlerweile völlig durchweichten Zigarette zu erhaschen.
Der Bus hat natürlich Verspätung.
Als der Bus endlich eintrifft, begrüßt der junge Mann den etwa 62 Jahre alten, miesgelaunten Busfahrer mit Bierbauch, mit einem höflichem, etwas dahingezittertem "Guten Morgen".
Der Busfahrer grantelt ein "Jetzt gehnse schon, ker ey!"
Mühsam bahnt sich der junge Reiseverkehrskaufmann seinen Weg in Richtung 2. Bustür. Vorbei an Kinderwagen mit extra weit vorstehendem Vorderrad, Gehhilfen samt greisem Anhang und Rollstuhlfahrern.
Alle diese Leute haben natürlich etwas extrem wichtiges zu tun um die Uhrzeit. Hier. In diesem Bus.
Der Lieblingsplatz des jungen Mannes ist natürlich besetzt.
Eine ältere Dame hat den Platz und auch den Nachbarsitz mit sich und ihren Sinn-Leffers Tüten belegt.
Ohnehin sind heute mal wieder alle Plätze belegt. Bis auf einen.
Direkt am Fenster gibt es noch einen freien Platz. Der Weg dorthin wird durch eine abermals sehr alte Dame belegt, welche sich auf dem Gangplatz positioniert hat. Kritisch mustert sie den jungen Mann.
"Ist der Platz noch frei?" fragt der junge Mann gequält freundlich.
"Wohin müssense denn fahren? Ich muss nämlich viel weiter fahren als wie sie! Wissen Sie, ich hab nämlich Rücken und Kreislauf und muss zum Arzt!"
kommt patzig von der Dame zurück.
"Bei der nächsten Haltestelle kann ich mich ja kurz dazwischenklemmen" meint der junge Mann freundlich aber bestimmt.
"Wissense, dat geht nicht. Wenn der Busfahrer dann anfahren tut, dann fall ich noch hin. Wissense, ich tu nämlich zum bluten neigen, dat liecht so inner Familie. Da müssense gezz stehen tun, aber ihr jungen Leute könnt dat ja noch. Wir hatten ja früher keinen Bus. Mussten bei Eis und Schnee auf Socken 12 Kilometer zur Schule laufen. Und auch wieda zurück. Dat kennt ihr verwöhnten Jungens ja gar nich mehr." ist das einzige was die Frau darauf entgegnet. Nach Beendigung des Satzes, folgt das unvermeidbare.
Andere ältere Mitbürger haben die Brandrede ihrer Artgenossin aufgeschnappt und vermuten, dass der junge Mann der alten Dame böses wollte.
"Unverschämtheit" "Frechheit" "Immer diese Jugend" murmelt es aus allen Ecken und Enden. Die Grauhaarfraktion scheint aus der Alterstarre erwacht zu sein.
Der junge Mann lässt von weiteren Überredungsversuchen ab und sucht sich still einen Stehplatz.
In dem Moment steigen 3 Klassen der nahegelegenen Grundschule zum Tagesausflug ins Bergbaumuseum ein. Drängelnd und kreischend, bahnt sich der Rotznasenlindwurm seinen Weg, ohne Rücksicht auf Verluste.
Da wird mit den neuen 4You Rucksäcken, die in ihren Dimensionen einem Bundeswehrrucksack alle Ehre machen würden, gandenlos eine Schneise der Verwüstung in den stehenden Rest der Mitfahrenden geschlagen.
"Jetzt lassense die armen kleinen doch mal vorbei, sie Rohling" blafft die alte vom Gangplatz den jungen Mann an.
Es regnet immer noch in Strömen.
Haltestelle Hauptfriedhof.
Wirr vom Geschrei der Schulkinder macht sich der junge Mann auf dem Weg zur Tür.
"Pass doch auf du Penner" "Ey, du *****." gellt es ihm aus den Kinderkehlen entgegen.
Der seidene Faden der Geduld reisst dem jungen Mann.
"Haltestelle Hauptfriedhof, alles über 65 aussteigen. Heute ist Probeliegen!" ruft er laut.
Und an die Kinder gerichtet: "Gebt euch keine Mühe in der Schule, eure Hartz4 Anträge sind schon gedruckt!"
Mit einem Lächeln der Genutuung verlässt er den Bus.
Er wird sich heute freinehmen, es ist ja bald Wochenende, um sich mal wieder so richtig zu besaufen.
Es regnet immer noch, das Leben ist schön.
Archchancellor
Man hat im Leben die Wahl, entweder mit der Masse mitzulaufen oder vor ihr davonzulaufen.
(Ingrid Bergman, schwed. Filmschauspielerin, 1915-1982)