Da wird ausdrücklich behauptet: „Bei rasch abfallender Glukose können die Werte von Gewebeglukose höher liegen als die Blutglukosewerte“.
Aber ist das physiologisch überhaupt plausibel? Der Blutzucker kann doch nur dann sinken, wenn Glukose aus dem Blut abfließt. Der einzige Ort, zu dem diese Glukose hinströmen kann, ist aber das ZZW. Glukose fließt ja nicht vom Blut direkt in die Zellen, sondern auf dem Umweg über das ZZW.
Nicht ganz. Das Zwischenzellwasser ist ja nicht ein einziger Blob, sondern eben nur annähernd gleich angeflutet. Wennst dich auf den Radl-Trainer setzt und ordentlich strampelst, dann verbrauchen die Zellen im Bein mehr Zucker als am Oberarm. Entsprechend verarmt das Zwischenzellwasser im Bein an Zucker, dort wird aus dem Blut nachgeschoben. Am Oberarm (oder Bauch), wo der Sensor sitzt tut sich aber erst mal nichts.
Wieso dann aus dem Blut und nicht aus dem umgebenden ZZW? Auch die Muskeln werden doch nicht direkt aus dem Blut mit Glukose versorgt.
Ich denke, so weit sind wir einfach nicht, dass unsere Messgeräte eine Genauigkeit haben, mit der wir Unterschiede im Glukosegehalt des ZZW an verschiedenen Körperstellen nachweisen können.
Ich kann daher auch nicht ausschließen, dass unter extremen Bedingungen so etwas vielleicht mal vorkommt. Aber in den Grafiken wird ja jeweils eine Musterkurve für den Verlauf unter Standardbedingungen gezeigt, und die müsste nach meinen physiologischen Kenntnissen eher so aussehen wie im zweiten Bild.
Starke Worte … die ich auch unterschreiben würde, würde Abbott behaupten, die Unterschiede kämen ausschließlich von dem zeitlichen Versatz.
Und ja, es stimmt, dass sie nichts anderes sagen. Ich vermute mal, dass so eine schlüssige Erklärung für primäre "Maßabweichungen" gefunden wurde.
Egal, ob es Abbott oder andere Anbieter oder die Mediziner sind: sie alle diskutieren immer nur eine Verschiebung in x-Richtung als vermeintlich (schlüssige) Erklärung für Abweichungen in y-Richtung. Aus physiologischen Gründen muss es aber zwingend so sein, dass Blutzucker nur sinken kann, wenn der Gewebszucker kleiner ist als der Blutzucker. Und das wird in der oberen Abbildung systematisch falsch dargestellt.
Die Wahrheit liegt aber immer in der Verknüpfung verschiedener Unterschiede bei der Messwert-Erfassung.
Wenn du noch hinzufügst „und bei der Messwertverarbeitung“ sagst du letztlich das gleiche wie ich.
- Abweichungen der Zeitachsen
Zum erklärten Sachverhalt käme dann noch die Tatsache, dass der Zeitversatz nicht immer gleich ist und sicherlich auch kurzfristig schwanken kann.
Deswegen schreibe ich ja „näherungsweise nicht nur nach rechts, sondern auch nach unten verschoben.“
Wenn man beispielsweise den BZ schlagartig durch i.v. Glukoseinjektion erhöht, wird natürlich nicht exakt 10 Minuten später der Gewebszucker schlagartig ansteigen, sondern von Beginn an kontinuierlich ansteigen, bis er nach vielleicht 12 Minuten sein Maximum erreicht.
Ein solcher kontinuierlicher Übergang ist auch in der zweiten Grafik oben simuliert worden. Die Kurven sind nicht exakt verschoben, aber in guter Näherung.
- Systematische Abweichung verschiedener Messsysteme
Diese könnten zu zwei gleichen Kurfen führen, die übereinander stünden
oder zwei Kurven, die auf der Y-Achse verschieden gestreckt sind … z.B. wenn die Abweichung prozentual abweicht.
Die Kurven, die Abbott zeigt, sind ja Musterkurven die den angeblichen Verlauf der wahren Werte zeigt. Und der wahre Verlauf kann nicht so sein, wie Abbott ihn zeigt.
Das (herstellerunabhängige!) Paradigma der CGMS, dass Blutzucker und Gewebszucker unter basalen Bedingungen annähernd gleich sind, stimmt einfach nicht. Die Daten werden nur durch Streckung/Stauchung so verarbeitet, dass die kurven so aussehen, wie Abbott sie zeigt. Und bei kalibrierbaren systemen macht den letzten Schritt der Anwender selbst und verschiebt die Werte so, dass es passt. Dabei geht aber die physiologische Plausibilität verloren.
- Zufällige Abweichung verschiedener Messsysteme
Jedes System hat gewisse (zulässige) Abweichungen, die man nicht in Größe und Richtung klar bestimmen kann. Vergleiche ich zwei tollerierte Kurfen, sind die nie genau immer parallel.
- verschiedene Abweichung weil Filter aktiv sind, die eine zuverlässige Durchschnittsbildung bewirken.
z.B. beim Libre wird alle 15 Minuten ein Durchschnittswert berechnet, der dann protokolliert wird. Beim Einzelscan wird diesbezüglich kein Durchschnitt gerechnet - davon bin ich fest überzeugt!
Hatten wir schon gelegentlich thematisiert. Wenn es ein Durchschnittswert wäre, würde schon bei linearem Anstieg oder Abfall der Daten aufgrund der Rechenmethode ein zusätzlicher zeitlicher Verzug von 7,5 Minuten entstehen, weil der Mittelwert dann exakt dem Wert in der Mitte des Zeitintervalls entspräche. Die Methode der Wahl wäre hier eher eine lineare oder quadratische Regression, mit der man den Wert am Ende des Zeitintervalls genauer schätzen kann, als durch den letzten Einzelmesswert. Aber mit welchen Algorithmen die Hersteller ganz genau arbeiten, weiß man nicht. Mit zum Algorithmus gehört in jedem Fall auch noch ein Rauschfilter, denn das Gerät misst ja eigentlich eine Stromstärke, die dann in Glukosewerte umgerechnet wird. Da diese Stromstärke im Bereich von einigen Nanoampere liegt, wird sie erheblich durch elektromagnetische Strahlung der Umgebung beeinflusst. Diesen Einfluss kann man aber durch geeignete Filtermethoden herausrechnen. Die genauen Methoden der Hersteller unterscheiden sich aber wahrscheinlich und sind wenig transparent.
- Systematische Abweichung verschiedener Messsysteme
siehe Angaben zur Wiederholbarkeit von Messungen mit den verwendeten Messmitteln
Für Blutzuckermessgeräte finden sich solche Angaben regelmäßig in der Packungsbeilage der Teststreifen und/oder der Bedienungsanleitung des Gerätes.
Bei CGM-Systemen hat man vergleichbare Angaben nicht. Wiederholen kann man die Messungen ja allenfalls im Labor, aber die Ergebnisse sind nicht unbedingt auf den in-vivo-Betrieb übertragbar. Aber bei FSL habe ich das ja mal bei gleichzeitigem Einsatz von 2 Sensoren ausprobiert und die Abweichungen zwischen den beiden Sensoren lagen im Mittel bei sage und schreibe 80mg/dL.
Bei Gewebszuckermessungen haben wir grundsätzlich das Problem, dass es keine genaue Referenzmethode zur Überprüfung der Ergebnisse gibt. Wir können also ein Ergebnis von FSL (oder auch Dexcom) nicht mit einem wesentlich genaueren Messwert eines Laborgerätes vergleichen, weil es schlicht kein genaues Laborgerät für Gewebszucker gibt.
Aber hier in diesem Beitrag soll es gar nicht um Genauigkeit und Messfehler gehen, sondern um die postulierten angeblichen Zusammenhänge zwischen dem wahren Wert des Gewebszuckers und dem wahren Wert des Blutzuckers.
Und da stelle ich einfach fest, dass wir mit Paradigmen überzogen werden, die nicht stimmen können. Es muss aus physiologischen Gründenzwingend so sein, dass sowohl in Phasen mit konstantem als auch in Phasen mit sinkendem Blutzucker der Gewebszucker niedriger ist als der Blutzucker. Es wäre im Rahmen des tolerierbaren Messfehlers zu erwarten, dass gelegentlich der Blutzucker auch sinkt, obwohl der Messwert für den Gewebszucker höher angezeigt wird. Aber das sollte dann jedesmal ein Messfehler sein und nicht regelmäßig vorkommen.
Wenn wir irgendwann eine genügend genaue Methode zur Bestimmung des wahren Wertes des Gewebszucker zur Verfügung haben, bin ich überzeugt davon, dass die heutigen Geräte systematisch und signifikant nach oben davon abweichen und die echten Kurven tatsächlich so aussehen, wie in der Simulation (zweite Grafik oben).
Dass die Kurven aller gängigen CGM-Systeme eher wie in der Grafik von Abbott aussehen, liegt letztlich daran, dass die Dinger so kalibriert sind, dass sie dem Paradigma folgen. Damit messen sie aber nicht mehr den Gewebszucker, sondern schätzen eher den Blutzucker, und das auch nur mit einem zeitlichen Verzug, von dem nicht genau vorhergesagt werden kann, wie groß er ist. Wahrscheinlich sind es 5-12 Minuten, wenn es mehr ist kommt das von den nichtlinearen Algorithmen zur Glättung der Daten.
Eine Alternative wäre vielleicht ein Gerät, das zwei Kurven anzeigt: eine blaue für den Gewebszucker und eine rote für den daraus geschätzten Blutzucker, die aber 10 bis 15 Minuten vor dem aktuellen Zeitpunkt endet, weil man den weiteren Verlauf noch nicht absehen kann.
Meiner Meinung nach sollte man jedenfalls keine Paradigmen in die Welt setzen, die in wesentlichen Punkten falsche Annahmen über physiologische Vorgänge machen. Ich möchte keine nachgeplapperten Paradigmen vorgesetzt bekommen, sondern wahrheitsgemäße Informationen, die mir die Zusammenhänge verständlich machen.
Und den Verlauf der Kurven in den blau markierten Bereichen der oberen Abbildung kann ich nicht nachvollziehen. Das liegt aber eben nicht daran, dass ich zu blöd bin, sondern daran, dass schlicht und einfach das der Grafik zugrunde liegende Paradigma falsch ist.
Die Abweichungen können schon damit erklärt werden, dass ein zeitlicher Versatz von … 10 bis 15 (?) Minuten zu beachten wäre. Man kann aber dann die Abweichung nicht umrechnen weil sie mehr oder weniger schwanken kann.
UND die oben genannten Fehlerquellen werden sich nicht immer ausgleichen. Sie alle machen einen direkten Vergleich unmöglich. Abbott behauptet nichts anderes, sie argumentieren nur mit dem deutlichsten Grund für Unterschiede. Systematische und zufällige Abweichungen müssen aber bei allen Vergleichen immer mit beachtet werden.
Es geht hier nicht um Messfehler, sondern um den Vergleich zweier Paare mit hypothetischen Musterkurven, von denen höchstens eines richtig sein kann. Und das ist eindeutig das aus der zweiten Grafik.
Diesen Beitrag laß ich nur aus Versehen in der "Neue Beiträge-Liste" weil ich normal die bisher beteiligten Schreiber in meiner Ignorierliste stehen habe.
Diesen Satz las ich nur, weil ich zufällig eine Lupe griffbereit hatte.
Schade, wenn du trotz Interesse am Thema ausgerechnet die Diskussionen mit Niveau auf die Ignorierliste setzt.