Autor Thema: Das Aufstehphänomen ... oder Morgenkaffee und Blutzuckeranstieg  (Gelesen 23541 mal)

Offline Joa

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Hallo zusammen,

frisch weitergebildet in Sachen Diabetes möchte ich die eine oder andere Erkenntnis hier nicht
vorenthalten, nachdem ich die Schuhe, die es mit in der Schulung des öfteren schlicht ausgezogen hat,
wieder an habe.  :staun:

Bald nachdem ich mit meinem Espressomaschinchen dazu übergegangen war morgens einen oder
zwei Milchkaffee zu brauen, fiel mir auf, dass mein Blutzucker danach nachhaltig anstieg.

Auch wenn mir 1 1/2 bis  2 Insulineinheiten für einen Milchkaffee, vorab verabreicht,  recht viel schienen,
brachte das Abhilfe.

Und das geht so...  ;)

Jeder Mensch hat beim Aufstehen grundsätzlich eine hormonelle Reaktion, bei der Korticoide
(hier wohl Aldosteron (Jörg wies unterdessen darauf hin, dass es sich auch um das Angiostensin II handeln könne)) ausgeschüttet werden, um via weiterer Reaktionsketten den Körper auch in der Senkrechten handlungsfähig zu machen.

Über Zellkernrezeptoren, die ihrerseits insulingebunden arbeiten, werden die weiteren Reaktionen ausgelöst.
Das heißt, die Zellen benötigen für diese Rezeptoren Insulin in der Zelle, welches über die "normalen" Insulin-
rezeptoren eingeschleust wird, dann aber nicht dem Glucosetransport dient.

Fehlt dieses Mehr an Insulin im Körper entwickelt sich nachgehend eine schicke kortison-, bzw. corticoidbedingte Insulinresistenz
für den Zeitraum von ca. 6 bis 8 Stunden.

Mit anderen Worten, der Tag ist ganz schön versaut, zumal das (hoffentlich stimmig formulierte) Basalinsulin nun auch noch
schlechte Karten hat im Zusammenspiel der weiteren Regelsysteme des Körpers den Blutzucker zuverlässig und ganz von
selbst auf Werte zwischen 70 und 90 mg/% einzupegeln.

Das Ganze ist durchaus bekannt, und zwar als Aufstehreaktion oder -phänomen.
Die dafür nötige Insulinmenge kennen wir als Aufstehinsulin, -bolus oder Gupf.

Die benötigte Insulinmenge korrespondiert mit der genetisch determinierten Anzahl der verfügbaren Zellrezeptoren für
Insulin und deren aktueller Resistenzsistuation (Up-, Down-Regulation).

Sie liegt etwa zwischen 0,5 und 4  Insulineinheiten bei einem Tagesgesgesamtinsulinbedarf
zwischen 20 und 80 Insulineinheiten bezogen auf 70 kg Lebendgewicht.

Was mich wundert ist, warum dieser schlichte Sachverhalt so wenig, bzw. nur diffus vermittelt wird?

Was mich auch wundert ist, warum ich Idiot mich so lange mit blödsinnigen Argumenten vor der
Teilnahme an dieser Schulung gedrückt habe.  :mauer: :mauer: :mauer:  :moser:

Gruß
Joa

p.s.
Die Darstellung erhebt nicht den Anspruch auf biochemische Korrektheit, sondern spiegelt nur mein
dürftiges Verständnis komplexer Sachverhalte. Sie ist daher *nur* als vereinfachende Modelldarstellung
zu verstehen.
« Letzte Änderung: November 21, 2005, 22:31 von Joa »
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Offline Lies

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Re: Das Aufstehphänomen ... oder Morgenkaffee und Blutzuckeranstieg
« Antwort #1 am: Oktober 15, 2005, 15:19 »
Jetzt weiss ich also auch noch, **warum**.

Bisher wusste ich nur *dass* und traf meine Vorkehrungen.

Aufstehen, wissen, wie die Werte liegen - ändert sich nie -  und vor jeder anderen Unternehmung wird gespritzt.
Dann habe ich die Augen noch nicht ganz auf. :banane:

Aber ich habe diese Probleme mit den verschiedenen Insulinen auch nicht.
Ich weiss, was ich frühstücken werde und setze 10 IE dafür...immer...und zwar Mischinsulin 50/50.
Welches davon dann wie/wann wirkt ist mir egal, denn dass es wirkt ist die Hauptsache.

Das reicht bis zur nächsten Essenaufnahme und da muss ich dann nur gucken, was ich zu kochen beabsichtige und da die Abschätzung der Lebensmittel schon automatisch erfolgt, werden 14 oder16 IE gesetzt und so laviere ich mich elegant und problemlos über den Tag
Die Zusammenhänge - also die Theorie - wurde mir zwar auch mal vermittelt, erwies sich aber im Laufe der Zeit als verzichtbar.

Aber...ich passe hübsch auf, ob irgendwann mal weitere Neuerungen und/oder Verbesserungen bekannt werden und dazu empfiehlt es sich, zumindest ein Diabetesforum zu kennen und...unter die Favoriten zu setzen.

Lies


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(Kant

Offline Joa

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Re: Das Aufstehphänomen ... oder Morgenkaffee und Blutzuckeranstieg
« Antwort #2 am: Oktober 15, 2005, 21:23 »
Moin Lies,


... ich habe diese Probleme mit den verschiedenen Insulinen auch nicht...

Ich auch nicht, weil ja mit Pumpe.  ;D
Deswegen kann ich allerdings auch die einzelnen Wirkungsbezüge wesentlich
einfacher auseinanderdefinieren als aus einem mixed Insulinbrei, wie bei ICT.

Mit Pumpe ist ja das Insulin das gleiche. Die Unterscheidung zwischen Basalinsulin und
Bolusinsulin bringt die Sache nur auf den Punkt.

Aber egal welche Therapievariante, der Aufstehbolus ist halt immer irgendwie in
den Insulinmengen zu berücksichtigen, und meist ja auch enthalten.

Steckt er z. B. bei CSII, schon als Ausläufer im Dawnhügel des Insulins, gibt es
ein Problem, wenn ich länger schlafe. Macht sich dann durch einen feuchten Schlafanzug
und wuschige Haare bemerkbar.  ;)

Ist der Aufstehbolus bei ICT z.B. im IE/BE Faktor des Frühstücks verhackstückt und Du gibst Dir mit
Weckerklingeln um 7 Uhr nur das Basalinsulin und schläfst dann weiter, braucht halt das Mittagessen
den Frühstücksfaktor. Liegt allerdings der Zeitraum zwischen Aufstehen und Essen dann weiter auseinander,
hängst Du schon wieder in den Miesen, wenn die Resistenz bereits gegriffen hat.  :-[

Gruß
Joa

« Letzte Änderung: Oktober 16, 2005, 12:46 von Joa »
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Offline Joerg Moeller

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Re: Das Aufstehphänomen ... oder Morgenkaffee und Blutzuckeranstieg
« Antwort #3 am: Oktober 16, 2005, 11:28 »
Aber egal welche Therapievariante, der Aufstehbolus ist halt immer irgendwie in
den Insulinmengen zu berücksichtigen, und meist ja auch enthalten.

Steckt er z. B. bei CSII, schon als Ausläufer im Dawnhügel des Insulins, gibt es
ein Problem, wenn ich länger schlafe. Macht sich dann durch einen feuchten Schlafanzug
und wuschige Haare bemerkbar.  ;)

Yep :ja:
Rein theoretisch könnte man den zwar in ein Basalprofil übernehmen, daß an Tagen mit derselben Zeit zum Aufstehen wirkt (z.B. wenn man Mo-Fr. eh jeden Tag um X Uhr aufstehen muss), aber auch davon würde ich eher abraten. Es könnte ja auch sein, daß man mal - aus welchen Gründen auch immer - verschläft.

Die Pumpe hilft mir da trotzdem schon sehr, denn mir ihr kann aich meinen Aufstehbolus auch dann abgeben, wenn der BZ mal kleiner als 70 ist. Das hätte ich mich mit ICT nicht getraut. Bei der Pumpe reduziere ich dann einfach von 3 IE auf 2 IE und geb das über 120 Minuten verteilt ab. Resultat ist dann ein 100er BZ.

Üblicher NBZ liegt bei mir so zwischen 80-100 (Wenn ich nicht durch "Diätsünden" dazwischengefunkt habe :zwinker: ) und dann gibt es 3 IE auf 90 Minuten verteilt. (Die Verteilung hab ich ausgetestet; ohne komm ich in Hyponähe)

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Offline Der Süsse

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Re: Das Aufstehphänomen ... oder Morgenkaffee und Blutzuckeranstieg
« Antwort #4 am: Oktober 17, 2005, 10:01 »

Hallo

wie wirkt sich das aus, wenn man z.B. so 3 Uhr aufwacht, und dann sich so 1,5h von links nach rechts dreht und zurück.
Könnte da das "Hormonphänomen" auch schon zur wirkung kommen?

Gruss Olaf
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Offline Joerg Moeller

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Re: Das Aufstehphänomen ... oder Morgenkaffee und Blutzuckeranstieg
« Antwort #5 am: Oktober 17, 2005, 10:53 »
wie wirkt sich das aus, wenn man z.B. so 3 Uhr aufwacht, und dann sich so 1,5h von links nach rechts dreht und zurück.
Könnte da das "Hormonphänomen" auch schon zur wirkung kommen?

Das müsste man ausprobieren, aber ich denke eher nicht. Dieses "Aufstehphänomen" kommt ja von Hormonen, die den Blutdruck stabilisieren sollen. Das geschieht vor allem mit Noradrenalin, daß die kleinen Arterien enger stellt. (Kenn sicher jeder: wenn man einen Wasserschlauch zusammendrückt kommt das Wasser mit mehr Druck da rausgeschossen)
Das ist deshalb nötig, damit das Blut beim Aufstehen nicht in den Beinen (die tiefste Stelle; der Schwerkraft gemäß) versackt. (Manche haben das trotzdem in ziemlich extremer Form, das nennt man dann 'orthostatische Dysregulation', da wird einem beim Aufstehen schwindelig und schwarz vor Augen, weil das Gehirn dannweniger gut durchblutet wird)

Ich werde gelegentlich auch um diese Zeit nachts wach, weil ich zum WC muß. Das nehm ich dann meistens zum Anlass auch mal den BZ zu checken, (Geht ja schnell und ist eine nächtliche Stichprobe ohne den Wecker zu stellen :zwinker: )
BZ ist dann - meistens - im Normbereich und beim endgültigen Aufstehen morgens entweder gleich geblieben oder sogar ein bißchen gefallen (weil meine Basalratenerhöhung ab 04:00 Uhr beginnt), jedoch noch nie signifikant angestiegen, so wie es der Fall ist wenn ich den Aufstehbolus morgens weglasse.
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Offline Joa

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Re: Das Aufstehphänomen ... oder Morgenkaffee und Blutzuckeranstieg
« Antwort #6 am: Oktober 17, 2005, 14:58 »
Hallo Olaf,


wie wirkt sich das aus, wenn man z.B. so 3 Uhr aufwacht, und dann sich so 1,5h von links nach rechts dreht und zurück.
Könnte da das "Hormonphänomen" auch schon zur wirkung kommen?

Soweit ich das verstehe kommt dann die Hormonausschüttung von Corticoiden im Sinne des Aufstehphänomens nicht
zur Wirkung. Die findet nur im Zusammenhang mit dem tatsächlichen Wechsel in die Aufrechte statt.

Denkbar ist, dass beim Nachtwälzen im Bett Adrenalin/ Noradrenalin beteiligt sind, die ja  im biorhythmischen Ablauf im Sinne des
Dawn-Phänomens ausgeschüttet werden. Nor-/Adrenalin verursacht aber nachfolgend keine hormonell bedingte Insulinresistenz.

Die Nebennierenrinde fährt die mit einem Aufstehen verbundene Hormonausschüttung auch wieder zurück, wenn Du nach
einem Gang, zu Klo, Kühlschrank oder BZ-Messgerät dich dann wieder hinlegen tust. Da bekommt sie sozusagen Entwarnung
signalisiert. Das hat Jörg vorstehend ja auch geschildert.

Die Hormonausschüttung beim Aufstehphänomen ist auch kein schwallartiger Ablauf, sondern geht über einen längeren Zeitraum.
Wie lange genau?  :kratz:

Vielleicht ist die von Jörg ausbaldowerte angelegentliche Verteilung des Aufstehinsulins über 90 Minuten eine Orientierung?

Das AP (Aufstehphänomen) läßt sich vielleicht auch als Verlängerung des Dawn-Phänomens verstehen, nur dass die Steuerung
bei ihm nicht vom Zeitabstand zum Zeitpunkt des Einschlafens gesteuert ist, sondern alleine vom Vorgang des Aufstehens.

Ein Aufstehphänomen tritt übrigens auch auf, wenn Du ein Mittagsschläfchen absolviert hast. Vermutlich, mehr oder weniger aus-
geprägt, bei ziemlich jedem Aufstehen aus der Waagerechten.

 :)

Gruß
Joa
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Offline Joerg Moeller

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Re: Das Aufstehphänomen ... oder Morgenkaffee und Blutzuckeranstieg
« Antwort #7 am: Oktober 17, 2005, 19:51 »
Das AP (Aufstehphänomen) läßt sich vielleicht auch als Verlängerung des Dawn-Phänomens verstehen

Aber nur von der Ausprägung her, da hormonell beim Dawn eher das Cortisol im Vordergrund steht. Und das bremst in der Zelle die Insulinwirkung ab. (Inhibition der Postrezeptor-Signaltransduktion, wie der Mediziner sagt)
Dadurch wird pro Insulin-Molekül weniger GLUT-4 (Glucosetransporter vom Typ 4) gebildet und somit auch weniger Glucose in die Zelle eingeschleust.
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Re: Das Aufstehphänomen ... oder Morgenkaffee und Blutzuckeranstieg
« Antwort #8 am: Oktober 17, 2005, 20:32 »
Hallo Olaf, hallo @all,


Hallo

wie wirkt sich das aus, wenn man z.B. so 3 Uhr aufwacht, und dann sich so 1,5h von links nach rechts dreht und zurück.
Könnte da das "Hormonphänomen" auch schon zur wirkung kommen?

Gruss Olaf

klare Aussage von mir dazu: Nein!

zwingender Begleitzustand ist das man sich von der Vertikalen in die Horizontalen begegt.
Und das ist nicht der Falls wenn Du dich von rechts nach links oder zurück drehst. (Außer Du hast eine besondere Drehtechnik  :baeh: (davon will ich dann aber ein Video sehn   ;D ;D ;D)).

Aus dem Grund ist ein wiederhinlegen nach geben des Morgengupfs auch gefährlich. Dann kann man nämlich unterzuckern wenn man Pech hat.

Grüßle

Norbert

Offline Alf

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Re: Das Aufstehphänomen ... oder Morgenkaffee und Blutzuckeranstieg
« Antwort #9 am: Oktober 17, 2005, 21:05 »
...(Außer Du hast eine besondere Drehtechnik  :baeh: (davon will ich dann aber ein Video sehn   ;D ;D ;D)).

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